Nichtwähler sind Helden

Ist Wählen wirklich ein Gewaltverbrechen?

Unser letzter Beitrag zum Thema Wählen begann mit dem Satz „Wählen zu gehen ist das übelste Gewaltverbrechen, das ein Mensch in seinem Leben begehen kann.“ Ist das wirklich wahr?

Zuerst müssen wir die Begriffe „Wahl“ und „Gewalt“ klar definieren:

Der Begriff der Wahl entspricht der Stimmabgabe für eine Person, die für ein bestimmtes politisches Amt kandidiert. Um an einer politischen Wahl teilnehmen zu können, muss man in das Wählerregister eingetragen sein. Das setzt ein bestimmtes Alter voraus und den Wohnsitz innerhalb des Gebietes, für das die zu wählenden Personen zuständig sein sollen. An einem besonderen Wahltag erhält jede registrierte Person die Möglichkeit, im Geheimen zu einem Wahllokal zu gehen und seine Stimme einer oder mehreren Personen zu geben, die zur Wahl stehen. Am Ende des Tages werden die Stimmen gezählt und diejenige Person bzw. der Personenkreis, der die meisten Stimmen erhalten hat, wird zum Gewinner erklärt und eventuell für das neue Amt vereidigt.

Mit Gewalt meinen wir physische Gewalt. Zum Beispiel der Einsatz von Waffen mit der Absicht, jemanden zu verletzen, zu verstümmeln oder zu töten oder um jemanden einzusperren oder zu enteignen. Diese physische Gewalt wird von den Angestellten oder Beauftragten des Staates eingesetzt, also von Polizisten, Gerichtsvollziehern, Sicherheitskräften mit staatlichem Auftrag und Soldaten. Sie setzen die Gewalt gegen die Menschen ein, die die staatlichen Gesetze und Regeln missachten. Wir bezeichnen diese Menschen als „Verweigerer“. Bei den meisten Menschen reicht die Drohung mit Gefängnis normalerweise aus, um sie gefügig zu machen. Aber die schwerwiegendste Sanktion, die dem Staat und seinem Personal zur Verfügung steht, ist es, die Menschen zu töten, die ihre Kooperation verweigern. Einige bekannte Vorfälle sind der Tod von Randy Weavers Frau und Kind, das Massaker von Waco und John Stinger, der mormonische Schulpflichtverweigerer, der von einem „Gesetzeshüter“ 1979 erschossen wurde.

Welche Verbindung besteht also zwischen politischen Wahlen und denen, die im Namen des Staates Gewalttaten begehen? Warum wollen Politiker, dass möglichst viele Menschen an den Wahlen teilnehmen?

Dafür gibt es zwei wichtige Gründe: Erstens, je mehr Menschen zur Wahl gehen, desto eher können diejenigen, die für den Staat und die Regierung arbeiten, behaupten, im „Namen des Volkes“ zu handeln. Eine hohe Wahlbeteiligung ist gleichbedeutend mit einer hohen Zustimmung. Staatsbedienstete wie Politiker, Präsidenten und Richter benötigen den Anschein der Legitimität ihrer Handlungen, damit sie von einer großen Mehrheit der Bevölkerung als rechtschaffen und rechtmäßig angesehen werden. Zweitens, Regierungen speziell demokratische haben entdeckt, dass je höher der Anteil der Bürgerschaft ist, der die Regierung respektiert, desto weniger Gewalt durch die Regierung benötigt wird, um die Bevölkerung unter Kontrolle zu halten. Zusammengefasst heißt das, dass je mehr Legitimität eine Regierung erhält, desto weniger direkte Gewalt muss sie gegen ihre Gegner einsetzen. Eine Regierung, die es nötig hat, direkte Gewalt für ihre Ziele einzusetzen, würde schnell als das gesehen werden, was sie ist: Eine kriminelle Organisation.

Ein erfolgreicher Staat benötigt also Legitimität und einer der einfachsten Wege, um diese zu erreichen ist, eine hohe Wahlbeteiligung herbeizuführen. Aber welche Verantwortung haben nun die Wähler für die Handlungen der Regierung?

Indem er zur Wahl geht, erklärt sich jeder Wähler damit einverstanden unter dem System der Regierung zu leben. Durch seine Stimmabgabe sagt jeder Wähler: „Es ist gut und richtig, dass einige Menschen, die im Namen des Staates Gesetze verabschieden und Gewalt dazu einsetzen, um diejenigen Menschen zu bestrafen, die sich nicht daran halten.“

Das Wahlkreuz des Wählers für sich betrachtet ist keine Gewalttat – das ist klar. Ein Wahlkreuz zu machen ist nicht das gleiche wie eine Pistole abzufeuern, die auf einen Verweigerer zielt. Der Wähler hat keine Gewalt eingesetzt, ebensowenig wie die Gesetzgeber, der Präsident oder die Richter, wenn sie ein Gesetz verabschieden oder ein Urteil verkünden. Trotzdem haben alle diese Leute ein autoritäres System, das am Ende Menschen mit Gewalt zum Gehorsam zwingt, unterstützt oder sich daran beteiligt.

Die Wähler, Amtsinhaber und anderen Beteiligten der Regierung sind also Mittäter oder Komplizen der Polizisten, Soldaten und Gefängniswärter, die tatsächlich physische Gewalt dazu einsetzen, um die Verweigerer zu unterwerfen. Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es viele Verfahren vor internationalen Gerichten, bei denen sowohl gewählte Amtsinhaber als auch Diktatoren rechtmäßig als Kriegsverbrecher verurteilt wurden – als rechtlich Verantwortliche für Verbrechen, die sie zwar nicht mit ihren eigenen Händen begangen haben, die aber infolge ihrer Befehle verübt wurden. Diejenigen, die also den Soldaten den Befehl erteilen, unschuldige Zivilisten umzubringen, sind verantwortlich, auch wenn sie nicht persönlich die Waffen auf sie gerichtet und geschossen haben.

Obwohl dieses Prinzip der Verantwortlichkeit noch nie von der politischen Führung bis auf diejenigen zurückverfolgt wurden, die an den Wahlen teilgenommen haben, sollte nun eines klar sein: Die Kette der Verantwortung beginnt bei denjenigen, die Gewalttaten begehen, sie reicht über diejenigen, die die Befehle dazu erteilen bis zu denen, die zur Wahl gehen, aus denen die Ermächtigung der politischen Führer hervorgeht.

Kehren wir also zurück zur Ausgangsfrage: Ist die Aussage wahr, dass „Wählen zu gehen das übelste Gewaltverbrechen ist, das ein Mensch in seinem Leben begehen kann.“? Nehmen wir an, dass die Person, an die sich diese Frage richtet, kein Serienmörder ist oder irgendeine andere offene Form von Verbrechen begeht. Anders gesagt: Nehmen wir an, dass die meisten Menschen, die zur Wahl gehen, normalerweise ein friedliches Leben leben. Ist zur Wahl zu gehen wirklich das übelste Gewaltverbrechen, das sie in ihrem Leben begehen?

Vor dem Hintergrund der Überlegungen, die wir hier angestellt haben, lautet die Antwort „Ja.“.

Jeder Einzelne, der wählt, genehmigt die Gewalt, die vom Staat und seinen Angestellten gegen andere ausgeübt wird. Mit seinem Wahlkreuz legt er sich die Kette der Verantwortung für diese Gewalt um seinen eigenen Hals. Wählen ist ein Gewaltakt, weil jeder Wähler für sich das Recht beansprucht, allen anderen einen politischen Vormund aufzwingen zu können. Kein Wähler und auch keine Mehrheit von Wählern hat dieses Recht. Wenn sie behaupten, dieses Recht zu haben, dann sollen sie eindeutig erklären, woher dieses Recht kommen soll und wie das mit dem Gleichheitsgrundsatz und den Rechten auf Leben, Freiheit und Eigentum vereinbar sein soll.

Der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau rief in seinem Essay „Ziviler Ungehorsam“ aus gutem Grund dazu auf, sich von jeglicher Wahlurne fernzuhalten.

„Wenn der Unterworfene seinen Gehorsam verweigert und der Beamte sein Amt niederlegt, ist die Revolution vollbracht.“
Henry David Thoreau

nach dem Artikel „Is Voting an Act of Violence?“ von Carl Watner

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